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Euro-Ausstieg: Warum die Eurozone eine radikale wirtschaftliche Anpassung braucht

Eine Art von fiskalischer und politischer Union ist machbar. Aber macht es auch tatsächlich Sinn für Deutschland, Teil einer solchen Union gemeinsam mit Griechenland, Spanien und Italien zu sein? Ich bezweifle das sehr. Derzeit sind die nördlichen Volkswirtschaften, vor allem Deutschland, in einer Schieflage, da ihr Konsumwachstum schwach ist und sie viel zu sehr darauf vertrauen, mit Nettoexporten die Nachfrage anzukurbeln. Es ist an der Zeit, dass deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher ihren Tag an der Sonne genießen. Eben das würde ein Abschied vom Euro – unter anderem – mit sich bringen.

Das Dilemma der Eurozone ist finanzieller, wirtschaftlicher und politischer Art. Die politische Komponente muss ich hier nur andeuten. Jetzt – endlich – herrscht allgemeiner Konsens in Europa, dass eine erfolgreiche Währungsunion eine fiskalische und politische Einheit benötigt. Die derzeitigen Vereinbarungen für den Euro stellen ein halbfertiges Konstrukt, eine Art ‚Währungsunion light’ dar. Allerdings ist die Aufgabe, eine fiskalische und politische Einheit zwischen 17 so unterschiedlichen Ländern zu schmieden, eine gewaltige Herausforderung.

Eine Art von fiskalischer und politischer Union ist machbar. Aber macht es auch tatsächlich Sinn für Deutschland, Teil einer solchen Union gemeinsam mit Griechenland, Spanien und Italien zu sein? Ich bezweifle das sehr. Zudem scheint die Wählerschaft dieser Länder – auch die Deutschlands – meine Zweifel zu teilen.

Die Einführung des Euros: ein Desaster

Es wäre besser gewesen, all dies auszuhandeln, bevor man sich auf den Euro einließ, aber die europäischen Staats- und Regierungschefs haben das vermasselt. Nun ist es an ihnen inmitten einer Krise herumzudoktern, um im Wettlauf gegen die Uhr so eine Union einzurichten, während die Finanzmärkte, die in viel knapper gesteckten Zeitrahmen operieren, den Zusammenhalt des gesamten Unterfangens äußerst kritisch betrachten. Mag auch die Einführung des Euros als ein technischer und politischer Triumph gelten, hat sie sich letzten Endes doch als ein Desaster erwiesen.

Somit spielt die politische neben der finanziellen und wirtschaftlichen Komponente innerhalb der Krise eine wichtige Rolle. Die finanzielle Seite hebt auf die Schulden ab. Mehrere Länder haben eine untragbare Staatsverschuldung. In einigen Fällen ist die private Verschuldung ebenfalls gewaltig. Zwischenzeitlich bedroht die staatliche und/oder private Verschuldung die Stabilität des Bankensystems. 

Die wirtschaftliche Seite des Problems ist, dass die Währungsunion eine Konvergenz in Aussicht gestellt hatte, die Kosten und Preise in einigen Mitgliedsstaaten im Verhältnis zu anderen Mitgliedsstaaten jedoch weiterhin schnell angestiegen sind, was wiederum einen Verlust der Wettbewerbsfähigkeit nach sich zog. Dies führte zu hohen Leistungsbilanzdefiziten und dem Anstieg einer erheblichen internationalen Nettoverschuldung.

Als Ergebnis dieser Finanz- und Wettbewerbsproblematik leiden einige Mitgliedsstaaten der Eurozone unter einer chronischen gesamtwirtschaftlichen Nachfrageschwäche, die sich in einer erhöhten Arbeitslosigkeit niederschlägt. Dies verschärft die Schuldensituation und schwächt zugleich die Position der Banken. Inzwischen schwelgen andere Länder in Leistungsbilanzüberschüssen, oftmals begleitet von einer günstigeren Schuldensituation im öffentlichen wie auch im privaten Sektor. Teilweise ist dies ein direktes Ergebnis der Tatsache, dass die schwächeren Länder an Wettbewerbsfähigkeit verloren haben.

Die finanziellen und wirtschaftlichen Aspekte der Krise sind ganz offensichtlich eng miteinander verwoben. Eine umfängliche Anpassung und die Schaffung von Stabilität verlangen, dass beides thematisiert wird.

Nominale und reale Flexibilität

Es ist möglich, den realen Wechselkurs entweder durch eine nominale Wechselkursabwertung oder eine Binneninflation zu senken. Und tatsächlich – wenn nominale Preise und Löhne perfekt nach unten anpassbar wären, wären beide Methoden gleichermaßen effektiv. Nur leider ist das nicht der Fall.

Wenn die notleidenden peripheren Volkswirtschaften der Eurozone erfolgreich zur Anpassung eine Währungsabwertung einsetzen könnten, würden sie damit nicht nur die Prognose für ihr eigenes BIP verbessern, sie würden damit auch Bedenken hinsichtlich der langfristigen Tragfähigkeit ihrer Schuldensituation zerstreuen – und dabei könnte sogar noch die langfristige Stabilität der ‚Kern’-Länder gestärkt werden. 

Aber eine Abwertung birgt deutliche Schattenseiten und Gefahren. In der Geschichte wimmelt es von Beispielen für Abwertungen, die fehlschlugen oder sogar ins Chaos führten – wie zum Beispiel in Argentinien (1955, 1959, 1962 und 1970), in Brasilien (1967), in Israel (1971) und in zahlreichen anderen Ländern. Allerdings hat diese Methode in Argentinien im Jahr 2002 und in Großbritannien im Jahr 1931 und nochmals im Jahr 1992 zu einer Lösung geführt.

Es ist müßig, die Schwierigkeiten, mit denen ein Land bei einem Ausstieg aus der Eurozone zu kämpfen hätte, mit einem Verbleib in der Eurozone als vermeintlich paradiesischer Lösung zu vergleichen. Eine fortgesetzte Euro-Mitgliedschaft scheint für alle Randstaaten zwangsläufig mit einer kontinuierlichen wirtschaftlichen Notlage verbunden zu sein, begleitet von erheblichen Risiken oder in manchen Fällen sogar einer unvermeidlichen Insolvenz. Somit ist es eine Wahl zwischen mehreren Übeln. 

Der Austeritätsansatz

Der Versuch, der Schuldenlast durch Sparpolitik entgegenzuwirken, und so wieder wettbewerbsfähig zu werden – d. h. die gesamtwirtschaftliche Nachfrage durch Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand und/oder Steuererhöhungen zu senken – ist äußerst problematisch, sinkt so doch die Nachfrage im In- und Ausland. Länder, die diese Politik verfolgen, werden feststellen, dass sie immer härter in die Pedale treten müssen, nur um auf der gleichen Stelle zu bleiben. Soll heißen, obwohl das BIP sinkt, muss das nicht auch für die Staatsverschuldung gelten.

Natürlich kann Sparpolitik die Wettbewerbsfähigkeit durch einen binnenwirtschaftlichen  Deflationsprozess erhöhen, dies bedeutet, sinkende Löhne und sinkende Preise. Zu den aktuellen Beispielen zählen hier Länder wie Singapur, Lettland und Irland, die erfolgreich Löhne und Preise gesenkt haben.

Dieser Befund liefert jedoch keine starken Argumente zugunsten einer Deflation als Abhilfe für die Eurozone. De facto ist Irland kürzlich in die Rezession zurückgeglitten, seine Schuldenprobleme spitzen sich zu und das Verhältnis zwischen Haushaltsdefizit und BIP liegt immer noch bei ungefähr zehn Prozent.

Zudem, selbst wenn die Preisdeflation relativ zügig vonstattenginge und nicht von einem substantiellen Einbruch der realen Wirtschaftsleistung begleitet würde, droht immer noch ein erheblicher Nachteil: Der tatsächliche Schuldenwert erhöht sich, wodurch sich die finanziellen Probleme verschlimmert. Beides verstärkt den Abwärtsdruck auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, und es verschärft die bereits schwierige Lage des Bankensystems. Außerdem lässt die Deflation wegen der Untergrenze der Nominalzinssätze die Realzinssätze ansteigen. Demnach steht das Ziel, mittels Deflation die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, im Widerspruch zu dem Ziel, die Schuldenlast zu reduzieren und die Wirtschaft zu beleben.  

Wachstum der Produktivität

Auch „Reformen“ und Versuche, die Produktivität zu steigern, bieten keinen gangbaren Ausweg, auch wenn sie aus anderen Gründen wünschenswert wären. Zunächst einmal ist es bekanntermaßen schwierig, das Wachstum der Produktivität zu steigern. Gelänge es einer Regierung es auch nur jährlich um 0,5 Prozent zu erhöhen, grenzte das schon an ein Wunder. Allerdings würde es bei 0,5 Prozent jährlich noch Jahrzehnte dauern, bis der Nutzen der Reformen die Lücke von 30 bis 40 Prozent bei der Wettbewerbsfähigkeit auszugleichen. Überdies würde ohne eine Aufrechnung monetärer Veränderungen – für jedwede Wachstumsrate von Löhnen – ein schnelleres Produktivitätswachstum dadurch wirken, dass die Preise weniger stark steigen. Demzufolge würde dieser Ansatz in all den schon weiter oben erörterten Problemen der Deflation münden.

Interessanterweise ist Deutschlands Erfolg in puncto Wettbewerbsfähigkeit nicht durch die Sicherung einer besonders schnellen Produktivitätssteigerung erreicht worden. Tatsächlich ist das Wachstum der Produktivität hier durchschnittlich – und niedriger als in Griechenland. Unter all den Randstaaten schneidet allein Italien bei der Entwicklung der Produktivität schlecht ab. Der Schwachpunkt der Randstaaten (und der Ursprung für Deutschlands Stärke) war nicht das Wachstum der Produktivität sondern das der Löhne.

Dies legt die Bedeutung von monetären und preislichen Phänomenen innerhalb einer Währungsunion offen. Kursänderungen vermögen nicht wie Zauberei auf die realen Defizite eines Landes einzuwirken, aber eher, als wenn die Nominalwerte massiv von den Grundlagen abweichen, weil dann die Dimension der Anpassung gänzlich außerhalb dessen liegt, was irgendwelche realen Verbesserungen tatsächlich noch erreichen könnten. Ein nominales Ungleichgewicht bedarf einer nominalen Lösung. Dies wäre die Möglichkeit, die sich bei einem Abschied vom Euro anböte.

Es ist ganz offensichtlich, wenn die Randstaaten aus dem Euro austräten und ihre Währungen abwerteten, dann würden die nördlichen „Kern“-Länder, angeführt von Deutschland, an Wettbewerbsfähigkeit verlieren und ihre Nettoexporte würden zurückgehen, was zu einem schwächeren BIP und höherer Arbeitslosigkeit führen würde. Die Lehrbuchlösung hierfür wäre, Maßnahmen zur Steigerung der Binnennachfrage, des Konsums, der Investitionen und der Staatsausgaben zu ergreifen. Das wäre ebenfalls von Vorteil. Derzeit sind die nördlichen Volkswirtschaften, vor allem Deutschland, in einer Schieflage, da ihr Konsumwachstum schwach ist und sie viel zu sehr darauf vertrauen, mit Nettoexporten die Nachfrage anzukurbeln. Dies spiegelt genau die Situation in China, einer weiteren Volkswirtschaft mit einem starken Ungleichgewicht. Es ist an der Zeit, dass deutsche Verbraucher ihren Tag an der Sonne genießen. Eben das würde ein Abschied vom Euro – unter anderem – mit sich bringen.


Roger Bootle ist Geschäftsführer des Londoner Beratungsunternehmens Capital Economics. Der vorliegende Artikel ist ein überarbeiteter Teil seines mit dem Wolfson Economics Prize ausgezeichneten Essays „Leaving the euro: A practical guide”.